Ein ehemaliger Krankenkassen-Vorstand ist durch das Oberlandesgericht Hamm zu Schadenersatz in Höhe von 4,6 Mio. Euro verurteilt worden. Der Manager hatte zu viele Büro- und Nebenflächen angemietet und damit nach Auffassung des Gerichts gegen seine Dienstpflichten verstoßen. Wenngleich für Geschäftsleiter in öffentlichen Unternehmen besondere Regelungen gelten, lassen sich Ableitungen für die Privatwirtschaft treffen.
Für die Krankenkasse BIG hatte das Vorstandsmitglied etwa 4000 qm Büro-und Nebenflächen sowie weitere Terrassen-, Archiv- und Lagerflächen im Dortmunder U für 15 Jahre Laufzeit angemietet. Dies ging jedoch deutlich über den tatsächlichen Bedarf hinaus, denn die Krankenkasse beschäftigte an dem Standort nie mehr als 548 Mitarbeiter. Zudem entwickelte sich die Zahl der Versicherten bei Mietvertragsschluss rückläufig, auch weil ein geringerer Beitragssatz im Vergleich zur Konkurrenz weggefallen war.
Erhöhte Risiken für Krankenkassen-Vorstände
Nach Prüfungen des Bundesversicherungsamts und des Bundesrechnungshofs wurde die Anmietung moniert. Schließlich verklagte die Krankenkasse ihren ehemaligen Vorstand auf Zahlung von Schadensersatz, da er seine Pflicht, nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu verwalten, nicht hinreichend beachtet habe. Sowohl das Landgericht Bochum (Urt. v. 15.01.2015 – I-3 O 430/12) als nun gestern in der Berufungsinstanz auch das OLG Hamm (Urt. v. 17.03.2016 – 27 U 36/15) verurteilten den Manager. Festzuhalten sind folgende Punkte:
- Vorstände gesetzlicher Krankenversicherungen tragen ein erhöhtes Haftungsrisiko, da sie sich nicht über die Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG) exkulpieren können.
- Zudem ist die Haftungsprivilegierung der Selbstverwaltungsorgane (§ 42 Abs. 2 SGB IV) auf sie nicht anwendbar, wonach diese nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit einzustehen haben. Denn Krankenkassenvorstände sind keine Selbstverwaltungsorgane.
- Einfache Fahrlässigkeit i.S.v. § 276 Abs. 2 BGB genügt für eine Haftung, sofern im Rahmen des Dienstvertrags die Haftung nicht auf grobe Fahrlässigkeit und/oder Vorsatz beschränkt wurde.
- Krankenkassen-Vorstände müssen den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz aus § 69 Abs. 2 SGB IV beachten: bei jeder Maßnahme ist die günstigste Zweck-Mittel-Relation herzustellen, d.h. ein bestimmtes Ergebnis muss mit möglichst geringem Einsatz von Mitteln erreicht werden (Minimalprinzip) oder mit den gegebenen Mitteln der größtmögliche Nutzen erzielt werden (Maximalprinzip).
- Anmietungen dürfen nur aufgrund gesicherter Erkenntnisse zur Personalentwicklung und dem hieraus folgenden Raumbedarf vorgenommen werden.
- Mit Blick auf die Verletzung von Schadensminderungspflichten ist es Sache des Vorstands darzulegen und zu beweisen, dass tatsächlich Möglichkeiten zu weiteren Untervermietungen bestanden haben und diese durch das Unternehmen pflichtwidrig nicht genutzt wurden.
Ableitungen für die Privatwirtschaft
Das Urteil lässt sich zwar nicht direkt auf Geschäftsführer und Vorstände von Unternehmen der Privatwirtschaft übertragen. Dennoch sind auch sie aufgrund ihrer Sorgfaltspflicht (§§ 93 Abs. 1 AktG, 43 Abs. 1 GmbHG) gehalten,
- vor Anmietungen eine eingehende Raumbedarfsanalyse erstellen zu lassen,
- sich dabei insbesondere an der Mittelfristplanung und der darin prognostizierten Entwicklung der Kunden- und Mitarbeiterzahlen zu orientieren und
- diese Grundlagen für das Eingehen des Mietvertrags sowie den Entscheidungsprozess schriftlich zu dokumentieren.
Der Abschluss eines Mietvertrags lässt sich gesellschaftsrechtlich als grob fahrlässig einstufen, wenn vorab keine Raumbedarfsanalyse erfolgt ist und langfristige Mietverpflichtungen entgegen dem tatsächlichen Bedarf blindlings eingegangen werden. Ferner muss die Möglichkeit zur Untervermietung schon im Mietvertrag vereinbart und entsprechend der Auslastungsentwicklung laufend geprüft werden, ob eine Raumverdichtung und ggf. Untervermietung geboten sind. Zu empfehlen ist eine dokumentierte, fachübergreifende Abstimmung zwischen Finanzen/Controlling, Einkauf und Personalwesen, um die Entscheidungsgrundlagen sorgfältig aufzubereiten. Dazu kann die Einschaltung eines neutralen Business Judgment Advisors ratsam sein, der den Entscheidungsprozess und die haftungsrechtlich relevanten Vorgänge im Sinne eines Logbuchs gerichtsfest dokumentiert.