Kickbacks, falsche Reisekostenabrechnungen, der Griff in die Kasse – wenn Mitarbeiter in die eigene Tasche wirtschaften, bemerken das Vorgesetzte oftmals zu spät. Um dem vorzubeugen, sind interne Regelungen und Überwachungssysteme sinnvoll, z.B. das 4-Augen-Prinzip. Wird es nicht praktiziert, begeht das Management eine Pflichtverletzung, wie das Oberlandesgericht Nürnberg mit Urteil vom 30.03.2022 (12 U 1520/19) entschied.
Peter Pickert* will sein Lebenswerk – die Tankstellen-Kette Spritgo GmbH* – an die nächste Generation übergeben und zugleich das weitere Wachstum sichern. Dazu überträgt er 49% der Anteile an Sohn Paul, mit dem er gemeinsam die Geschäftsführung bildet. Weitere 50% verkauft er an die Oilgroup AG* als strategischem Investor.
Kontrollsystem nach ersten Unregelmäßigkeiten
Im Tankstellenbetrieb gibt Spritgo Tankkarten mit monatlicher Abrechnung und Kreditlimit an regionale Firmen aus und hat damit über die Jahre einen großen Kundenstamm aufgebaut. Doch der Erfolg führt zu Nachlässigkeit: es wird nicht kontrolliert, ob und wann Firmen ihr Kreditlimit erreicht haben. In der Folge bleibt Spritgo auf verschiedenen Forderungen sitzen. Deshalb wird auf Druck der Oilgroup ein Kontrollsystem eingeführt und das Kreditlimit jedes Kunden wöchentlich geprüft.
Ein Vertriebsleiter mit krimineller Energie
Um das Wachstum zu beschleunigen, wird Frank Effner* eingestellt – ein Vertriebsleiter mit krimineller Energie, wie sich später herausstellt. Effner fällt auf, dass zwei ihm bekannte Speditionen ihr Kreditlimit ausgeschöpft haben. Damit deren Fahrer weiter tanken können, manipuliert Effner die Software, indem er die Beträge zunächst anderen Firmen zuordnet. Die infolgedessen zu hohen Monatsrechnungen adressiert Effner im weiteren Verlauf um und sendet sie selbst an die beiden Speditionen. Zwar übersieht er einige überhöhte Rechnungen und es kommt zu Beschwerden der anderen Firmen. „Um die Vorgänge kümmere ich mich persönlich, ich regele das“, verspricht er dem internen Beschwerdemanagement. Peter und Paul Pickert erfahren davon nichts, die Außenstände von Spritgo gegen die beiden Speditionen steigen unbemerkt immer weiter.
Das 4-Augen-Prinzip bleibt Theorie
Zwischenzeitlich besucht Paul Pickert ein Geschäftsführer-Seminar, in dem es auch um Insolvenzpflichten und Compliance geht. „Nach den Erfahrungen mit dem Kreditlimit-Problem brauchen wir eigentlich für Kundenabrechnungen eine zweite Person, die die Abrechnungen prüft“, sagt er anschließend zu seinem Vater. In der Folgezeit werden verschiedene Kandidaten eingestellt, scheiden aber in der Probezeit aus.
Die Manipulation fliegt auf
Effner bleibt also weiterhin unkontrolliert. Als er in den Urlaub geht, gehen vermehrt Beschwerden anderer Firmen wegen zu hoher Tankrechnungen ein. Die Manipulation fliegt auf und Effner kommt in Untersuchungshaft. Auch gegen Paul Pickert wird wegen Beihilfe zur Untreue ermittelt und das Verfahren letztlich gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt. Weil die beiden Speditionen in die Insolvenz geraten und Spritgo mit ihren Tankrechnungen im hohen sechsstelligen Bereich ausfällt, erhebt Spritgo auf Betreiben von Oilgroup eine Schadensersatzklage gegen Paul Pickert. Das Landgericht gibt der Klage statt und in der Berufungsinstanz sieht auch das Oberlandesgericht eine Pflichtverletzung als erwiesen an.
Die Entscheidung des Gerichts
Eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers liegt vor, wenn
- er es unterlassen hat, interne Compliance-Strukturen zu schaffen,
- die ein rechtmäßiges und effektives Handeln gewährleisten und
- die Begehung von Rechtsverstößen durch die Gesellschaft oder deren Mitarbeiter – auch mittels Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen – verhindern.
Eine solche Unterlassung kann z.B. in dem Nichtergreifen von Maßnahmen zur Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips liegen. Kann der Geschäftsführer für die Überwachung kein geeignetes Personal finden, so muss er selbst die notwendigen Überwachungstätigkeiten durchführen.
Auch das Nichteinschreiten gegen erkennbare Eingriffe eines Mitarbeiters in Rechnungstellung, Rechnungsversand und Beschwerdemanagement außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs ist eine Pflichtverletzung.
Hat es in der Vergangenheit bereits einen aufgedeckten Schadensfall gegeben, so besteht eine gesteigerte Überwachungspflicht des Geschäftsführers.
Für die Praxis ist daher Folgendes zu beachten und zu empfehlen:
Lesen Sie dazu demnächst mehr in „Manager-Recht“.
*Namen und Firmenbezeichnungen geändert